1 Einleitung

2016 wurde in Österreich das Ausbildungspflichtgesetz (APflG; Ausbildungspflichtgesetz, 2016) beschlossen. Darin wurde festgelegt, dass Jugendliche, die keinen über die Pflichtschule hinausgehenden Schulabschluss haben, bis zum 18. Lebensjahr eine weitere (Aus‑)Bildung besuchen müssen. Umgesetzt wird das unter dem Titel der AusBildung bis 18 (AB18). Diese soll in erster Linie einem frühzeitigen Bildungsausstieg entgegenwirken, jugendliche Bildungsabbrecher*innen in das (Aus‑)Bildungssystem eingliedern und eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Teilhabe stärken (APflG § 2 (1)). Dabei sollen die Jugendlichen einen schulischen oder beruflichen Abschluss in der Sekundarstufe II erreichen (Steiner et al. 2019, S. 8). Vertiefend werden Jugendliche und Erziehungsberechtigte mithilfe von Angeboten unterstützt und Bildungs- und Ausbildungsangebote ausgebaut (Steiner et al. 2016b, S. 9). Die Angebote setzen bereits in der Schule an und sind als Unterstützung für die Jugendlichen konzipiert. In diesem Rahmen wurde das bereits 2008 unter dem Titel Ausbildungsgarantie eingesetzte Maßnahmenangebot für Jugendliche im Übergang von Schule zum Beruf noch einmal ausgeweitet und neu strukturiert.

Eine wichtige Zielgruppe dieser Übergangsangebote sind Jugendliche, die als Frühe Schul- und Ausbildungsabgänger*innen (FABA) bezeichnet werden. Darunter werden junge Menschen verstanden, die zwischen 15 und 24 Jahre alt sind, keine Ausbildung besuchen und keinen höheren Bildungsabschluss als Pflichtschule plus eine einjährige Schule haben. Österreichweit galten 2019 6,8 % der 15–17-jährigen Jugendlichen als FABA, in Wien waren es zum gleichen Zeitpunkt 12 % dieser Altersgruppe (Statistik Austria 2021). Es zeigt sich also, dass diese Gruppe in Wien deutlich größer ist als im bundesweiten Vergleich. Eine Zielgruppe, die trotz anderslautender Forderungen im Vorfeld keine Berücksichtigung fand, sind junge Asylsuchende. Diese erhalten während des Asylverfahrens keinen Zugang zu Maßnahmen der AusBildung bis 18.

Bislang gibt es nur wenig Forschung zur AusBildung bis 18 (Atzmüller und Knecht 2016; Knecht und Atzmüller 2017; Steiner et al. 2019, 2021) und darunter kaum Beiträge, die die Perspektiven der Jugendlichen auf die Maßnahmen und deren Auswirkungen in den Fokus rücken (Wintersteller et al. 2022a). Daher stellen wir in diesem Beitrag Ergebnisse aus zwei Forschungsprojekten aus Wien vor, deren Hauptaugenmerk auf der Sicht der Jugendlichen liegt. Auf Basis dieser Daten werden die folgenden zwei Forschungsfragen bearbeitet: „Welche Wege führen die Jugendlichen in die Maßnahmen der AusBildung bis 18?“ und „Wie beschreiben die Jugendlichen Schwierigkeiten und Erfahrungen in den Maßnahmen?“

Nach der Darstellung theoretischer Bezüge und des Forschungsstandes werden zwei Projekte und die daraus gewonnenen Daten vorgestellt, die Wege der jungen Menschen in die Maßnahmen beleuchtet sowie deren Perspektive auf positive und negative Punkte in den besuchten Angeboten erläutert.

2 Theoretischer Hintergrund und Forschungsstand

2.1 Soziale Ungleichheit im Bildungssystem

Das österreichische Bildungssystem ist gekennzeichnet von Übergangsentscheidungen, einer frühen Trennung in einen akademisch- und einen berufsorientierten schulischen Pfad sowie einer erwarteten Mitarbeit der Familie in Bildungsfragen. Die erste Übergangssituation erfolgt schon nach vier Jahren gemeinsamer Volksschule, nach der eine achtjährige Allgemeinbildende Höhere Schule (AHS) besucht werden kann, die zur Studienberechtigung führt, oder eine vierjährige Mittelschule (MS). Die Eintrittsvoraussetzungen für die AHS sind gute Noten oder eine Aufnahmeprüfung. Es gibt in Österreich relativ wenige Ganztagsschulen und ein Teil des Lernens (Hausübungen, Vorbereitung für Tests, etc.) wird in die Nachmittage außerhalb der Schule verlegt. Damit werden sowohl die Bildungswegentscheidungen als auch der Lernerfolg zu einem großen Teil zu einer Sache der familiären Unterstützung. Dementsprechend zeigen zahlreiche Untersuchungen, dass die soziale Herkunft nach wie vor einen wichtigen Faktor in den Bildungswegen von jungen Erwachsenen in Österreich darstellt (Bacher 2009; Bruneforth et al. 2012; Steiner et al. 2016a; Flecker et al. 2023). Da Pierre Bourdieu in seinen Theorien die Auswirkungen sozialer Herkunft auf Bildungserfolge ausarbeitet, möchten wir hier auf seine Theorien zurückgreifen.

Bourdieu fokussiert in seinen Analysen zur Bedeutung sozialer Herkunft für Bildungswege auf die gesellschaftliche Verteilung von Statuspositionen sowie auf die Rolle des Schul- und Bildungssystems (Bourdieu und Passeron 1971). Laut Bourdieu ist die Schule, so wie sie derzeit funktioniert, kein Ort, an dem Kinder aus benachteiligten sozialen Klassen eine gerechte Chance erhalten, über Bildung sozial aufzusteigen, sondern ein Ort, an dem Klassenzugehörigkeit reproduziert wird (Bourdieu 2018). Unter der Annahme, dass so alle Kinder gleichbehandelt werden, wird Sprache, Ausdruck und Wissen der oberen Klassen als zu erreichende Norm für alle gesetzt. Während Kinder, die mit dem passenden familiären Hintergrund aufgewachsen sind, einen Startvorteil haben, der eher zu guten Noten und ermunternden Rückmeldung verhilft, lernen Kinder, die in anderen Kontexten aufgewachsen sind, dass ihre Sprache und ihr Wissen nicht dem hier Gefragten entspricht und sie den schulischen Ansprüchen nur unter großen Anstrengungen und Anpassungen genügen können (Bourdieu 2018; Hartmann 2009).

Um die Reproduktion von gesellschaftlichen Positionen zu erklären, erstellt Bourdieu eine dreigliedrige Konzeption von Kapital. Neben dem ökonomischen Kapital, das aus Geld und Besitz besteht, sind kulturelles und soziales Kapital von Relevanz (Bourdieu 1983, 1987). Das kulturelle Kapital setzt sich aus einer objektivierten, inkorporierten und institutionalisierten Variante zusammen. Inkorporiertes kulturelles Kapital sind bewusst oder unbewusst erlernte Fähigkeiten (z. B. Hochsprache, Fremdsprachen, Instrumente spielen). Diese Kapitalform kann nicht über Generationen einfach vererbt werden, sondern muss von jeder Person selbst verinnerlicht werden. Die Möglichkeit zur Aneignung dieser Kapitalform ist aber vom materiellen Hintergrund und dem sozialen Netzwerk der Person abhängig. Das objektivierte kulturelle Kapital ist Besitz von z. B. Gemälden, Musikinstrumenten oder Büchern und damit die einzige Form des kulturellen Kapitals, die direkt vererbt werden kann. Das institutionalisierte kulturelle Kapital, das in Form von schulischen und akademischen Abschlüssen in Bildungsinstitutionen erworben wird, wird von jedem Individuum selbst angeeignet. Jedoch basiert ein erfolgreicher Bildungsabschluss überwiegend auf der Verfügbarkeit des objektivierten und des zuvor inkorporierten Kapitals (Bourdieu 1983; Kuhlmann 2008). Unter sozialem Kapital werden alle Bekanntschaften und Beziehungen verstanden, die genutzt werden können.

Basierend auf Bourdieu und Passeron (1971) halten Dirim und Mecheril (2010) in ihren Erläuterungen zur Schlechterstellung von Migrationsanderen in der Schule fest, dass die Schule ganz bestimmte Anforderungen und Erwartungen an die Jugendlichen sowie an die Familien der Schüler*innen hat: Sie setzt Ressourcen und Fertigkeiten – wie beispielsweise das „korrekte Sprechen“ einer bestimmten Art des Deutschen – voraus, die vor allem von Jugendlichen mit anderen Erstsprachen sowie von deren Familien oft nicht erfüllt werden können. Die monolinguale Verfasstheit des österreichischen Schulsystems (Gogolin 2014), in dem allein Hochdeutsch die geforderte Unterrichts- und Verständigungssprache ist, erschwert dabei das Lernen sowie die Inklusion von mehrsprachigen Kindern. Die Erwartung, dass außerschulische und familiäre Unterstützung bei schulischen Fragen für Schüler*innen vorhanden sei, produziert in Folge ebenfalls Ungleichheiten, da vor allem diejenigen erfolgreich abschneiden, die den Normalitätserwartungen der Schule entsprechen (Dirim und Mecheril 2010, S. 125 f.). Dementsprechend ist sowohl das Lernen der Kinder als auch das Einbringen der Erziehungsberechtigten in das Bildungssystem nicht nur von ihrer „Motivation“ abhängig, sondern vor allem von den Voraussetzungen, welche für das Lernen sowie das Einbringen gestellt werden (Dirim und Mecheril 2010, S. 126).

2.2 Kontext und Forschungsstand zur AusBildung bis 18

Um die Situation jener Jugendlichen zu untersuchen, die an den Hürden des österreichischen Schul- und Bildungssystems scheitern oder zu scheitern drohen, gibt es bislang einige Studien zu sogenannten „NEET“-Jugendlichen (Not in Education, Employment or Training; Bacher et al. 2014; Bacher 2020) sowie zu Frühem Schulabbruch (z. B. Steiner 2009, 2014; Steiner et al. 2016a). Zur AusBildung bis 18 gibt es zudem zwei längere Berichte aus Begleitforschungen (Steiner et al. 2019, 2021) sowie Forschungsartikel (Atzmüller und Knecht 2016; Knecht und Atzmüller 2017). Die erste Begleitforschung von Steiner et al. (2019) beinhaltet eine Einschätzung der Vorteile der AB18 auf volkswirtschaftlicher und sozialpolitischer Ebene sowie Empfehlungen für mehrere Teilbereiche. Die dargestellte Studie basiert auf unterschiedlichen quantitativen und qualitativen Datensätzen (z. B. Schulstatistik, Daten des AMS, Websites, Expert*inneninterviews). Die Autor*innen halten fest, dass die AB18 wichtige Vorteile bringe, wie einen hohen makroökonomischen Nutzen, verbesserte soziale Gerechtigkeit und konkrete Unterstützungsmöglichkeiten für junge Menschen (Steiner et al. 2019, S. 362). Sie begrüßen das Zusammenspiel von Prävention, Intervention und Kompensation, das in der AusBildung bis 18 verfolgt wird, betonen aber auch einige Verbesserungsmöglichkeiten, beispielsweise die Stärkung des Stützpersonals in den Schulen oder eine intensivierte Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Institutionen. Essenziell sei es, Kooperationsstrukturen zu stärken, beispielsweise Kooperationen mit Betrieben, den schulischen Unterstützungssystemen (Schulpsycholog*innen, Schulsozialarbeiter*innen) oder der außerschulischen Jugendarbeit (Steiner et al. 2019, S. 362 f.).

Der zweite Evaluationsbericht wurde über das Jugendcoaching erstellt (Steiner et al. 2021). Unter Jugendcoaching wird ein niederschwelliges Beratungsprogramm für Jugendliche verstanden, das an unterschiedlichen (schulischen und außerschulischen) Standorten angeboten wird. Der Fokus wird hierbei auf jene Jugendlichen gelegt, welche gefährdet sind, die Schule abzubrechen, keinen Schulabschluss zu erlangen oder Unterstützung bei der Lehrstellensuche und im Übergang zum Arbeitsmarkt benötigen. Zudem richtet sich das Jugendcoaching auch an Jugendliche, die sich aufgrund eines Bildungsabbruches weder in einer Bildungsinstitution noch in einer Beschäftigung oder Betreuung durch das Arbeitsmarktservice befinden oder von einem Abbruch aus Beschäftigungs- und Betreuungsmaßnahmen bedroht sind (Dachverband berufliche Integration – Austria o.J.). Im Jahr 2014 wurden ca. 28.000 Jugendliche mithilfe eines Jugendcoachings betreut und begleitet (Knecht und Atzmüller 2017). Im NEBA Datasheet werden für 2021 mehr als doppelt so viele, nämlich 59.995 Teilnahmen genannt, wovon die meisten (15.589) in Wien stattfanden (NEBA 2023a). Die Methode des Jugendcoachings besteht aus einem Case Management in drei Stufen. In Stufe 1 werden Jugendliche bis zu ca. drei Monaten, in Stufe 2 bis ca. sechs Monate und in Stufe 3 bis ca. zwölf Monate begleitet und unterstützt (Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung 2023). Neben der Bildungs- und Berufsberatung werden die individuellen Probleme der Jugendlichen berücksichtigt, die einen Einstieg in eine (Aus‑)Bildungseinrichtung erschweren. Die Umsetzung der Maßnahme wird auf die jeweilige Zielgruppe und die unterschiedlichen Bedürfnisse dieser zugeschnitten (Steiner et al. 2021, S. 8).

Im Bericht von Steiner et al. (2021) wird aufgezeigt, dass das Jugendcoaching eine wesentliche und unterstützende Säule im Übergang zwischen der (Aus‑)Bildung und dem Beruf darstelle und in der Prävention von (Aus‑)Bildungsabbrüchen, sowie der Reintegration von Jugendlichen einen wichtigen Beitrag leiste. Die Autor*innen halten fest, dass das Jugendcoaching durch das Engagement und die Konsequenz der Jugendcoaches, Projektleitungen und Akteur*innen in der Steuerungsebene gut im System etabliert sei. Der individuelle Ansatz dieser Maßnahme berge großes Potenzial: Durch die Betreuung und Unterstützung im Einzelsetting könne eine Brücke zwischen den Jugendlichen und den Angeboten gebaut werden. Durch den hohen administrativen Aufwand käme es allerdings zu Herausforderungen: Für die Betreuung der Jugendlichen stehe nur 37 % der Arbeitszeit zur Verfügung. Administrative Tätigkeiten nähmen viel Zeit in Anspruch und wiesen wenig Nutzen auf. Dementsprechend empfehlen Steiner et al., gemeinsam mit Jugendcoaches und Projektleitungen Anpassungen zu erarbeiten. Die vergangenen Jahre zeigten, dass es einen höheren Bedarf an intensiveren Betreuungen gäbe und Jugendliche sich längere und intensivere Unterstützung wünschten. Die Autor*innen legen den Ausbau des außerschulischen Angebots des Jugendcoachings nahe, da dieses eine besonders positive Wirkung habe. Insbesondere bei Jugendlichen mit einem Sonderschulabschluss oder einer Migrationsbiographie habe das Jugendcoaching eine starke aktivierende und integrative Wirkung (Steiner et al. 2021, S. 206). Zudem erscheine die Ausweitung der finanziellen Mittel ebenfalls notwendig. Mit FABA als Zielgruppe ginge auch eine Ausweitung der Altersbegrenzung und das Öffnen des Programms für alle Jugendlichen und jungen Erwachsenen einher, zumal ältere Kohorten besonders betroffen seien und Unterstützung bei der Re-Integration bräuchten (Steiner et al. 2021, S. 208).

In einem Kapitel der Studie werden Ergebnisse aus Gesprächen mit Jugendlichen erläutert: Konkret wurden fünf Gruppendiskussionen mit insgesamt 23 Jugendlichen durchgeführt (Steiner et al. 2021, S. 18). Diese erzählen, mit unterschiedlichen persönlichen Problemen und Belastungen zu kämpfen, die die (Aus‑)Bildungssituation erschweren, z. B. Mobbing, Wohn- und Einkommenssituation der Familien, und psychische Erkrankungen (Steiner et al. 2021, S. 68). Das Jugendcoaching werde von diesen Jugendlichen überwiegend als hilfreiches Angebot gesehen, dabei werden vor allem gute Beziehungen zu den Jugendcoaches und erzielte Erfolge hervorgehoben. Geschätzt werde vor allem die Zeit und das Interesse, das ihnen entgegengebracht wird, die Kommunikation auf Augenhöhe sowie das Eingehen auf persönliche Interessen (Steiner et al. 2021, S. 76 f.).

Ein zweites Angebot der AusBildung bis 18 soll hier noch kurz genauer vorgestellt werden, da es in den Daten ein wichtiges Thema war: Unter dem Namen AusbildungsFit werden unterschiedliche Maßnahmen zusammengefasst, welche Jugendlichen, die noch nicht mit der Absolvierung einer Berufsausbildung begonnen haben, motivieren sowie fachliche Kenntnisse und Basisqualifikationen vermitteln sollen. Eine Zuweisung zu einer AusbildungsFit Einrichtung erfolgt in enger Abstimmung mit dem Jugendcoaching. Diese Einrichtungen beinhalten Arbeitstrainings mit einem sozialarbeiterischen und sozialpädagogischen Fokus, Freizeit- und Sportaktivitäten und Wissenswerkstätten (Atzmüller und Knecht 2016, S. 120). Im Jahr 2015 gab es 2200 Teilnahmen (Knecht und Atzmüller 2017, S. 242), im Jahr 2020 mehr als doppelt so viele, nämlich 5076 (NEBA 2023b).

Ein kritischeres Resümee über die Ausbildungspflicht und die dahinterliegenden Vorstellungen über die jugendliche Zielgruppe wird von Atzmüller und Knecht (2016) bzw. Knecht und Atzmüller (2017) gezogen. Sie zeichnen in der Entwicklung von der Ausbildungsgarantie zur Ausbildungspflicht eine neoliberale Transformation der Arbeitsmarktpolitik für junge Menschen am Übergang von Schule zu Arbeit nach. Die Autoren analysieren Ministeriumspapiere sowie Expert*inneninterviews mit Personen, die auf politischer oder administrativer Ebene mit Arbeitsmarktpolitik für Jugendliche beschäftigt sind oder direkt mit Jugendlichen arbeiten. Sie kommen zum Schluss, dass junge Menschen ohne Ausbildungsplatz in der Konzeption der Ausbildungspflicht als Hilfsbedürftige bzw. als Verweigernde von Bildungsangeboten gedacht werden. Von ihnen wird erwartet, dass sie sich einem ökonomischen Wettbewerb anpassen und in diesen eingliedern. Formen des „Scheiterns, Abweichens und Verweigerns“ können dabei als „Verrücktheiten und jugendlicher Wahnsinn“ pathologisiert oder den „zunehmend als dysfunktional wahrgenommenen Unterschichtsfamilien“ zugeschrieben werden (Atzmüller und Knecht 2016, S. 130). Sie stellen auch eine zunehmend disziplinierende Ausrichtung der angebotenen Aktivitäten fest (Knecht und Atzmüller 2017, S. 240) sowie eine Beschäftigungsförderung Jugendlicher, die vermehrt unter ökonomischen Gesichtspunkten und als Teil einer aktivierenden Sozialinvestitionspolitik gesehen wird (Knecht und Atzmüller 2017, S. 249).

Inhaltlich kann zusammenfassend gesagt werden, dass die Perspektive der Jugendlichen darauf, was sie als gelungen und hilfreich oder auch als hinderlich in ihren Übergangswegen in der AusBildung bis 18 erleben, bislang kaum erhoben wurde. Auf methodischer Ebene ist festzuhalten, dass kaum qualitative Daten zur Sicht der teilnehmenden Jugendlichen auf die Maßnahmen der AusBildung bis 18 analysiert wurden. Neben den oben genannten 23 Jugendlichen in Steiner et al. (2021), wird nur in Kap. 3 im Bericht zur Ausbildungspflicht kurz Bezug auf zwei Gruppendiskussionen mit insgesamt 11 Schüler*innen genommen (Steiner et al. 2019, S. 64).

3 Methoden und Sample

Die hier verwendeten Daten stammen aus zwei verschiedenen Projekten. Zum einen aus dem Projekt Wege in die Zukunft, einer Längsschnittstudie mit Jugendlichen in und nach der Neuen Mittelschule in Wien, zum anderen aus CoAct, in dem partizipativ mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen geforscht wurde, die sich in unterschiedlichen Maßnahmen der AusBildung bis 18 befanden.

3.1 Daten aus dem Projekt Wege in die Zukunft

Die für diesen Text relevanten Daten stammen aus dem Projekt Wege in die Zukunft. Zur Vergesellschaftung junger Menschen in Wien, konkret aus der „Aufstockung“ des Panels. Das bedeutet, dass bei einer Zusatzerhebung im Jahr 2020 17 problemzentrierte Interviews nach Witzel (2000) mit Jugendlichen durchgeführt wurden, die sich in unterschiedlichen Maßnahmen der AusBildung bis 18 befanden (Duncan et al. 2020). Im Folgejahr wurden alle Jugendlichen wieder kontaktiert und sechs davon waren bereit, erneut ein Interview zu geben, sodass insgesamt 23 Interviews transkribiert und analysiert wurden, die zwischen 55 und 208 min lang waren (Wöhrer und Neuhauser 2021). Das Interview begann jeweils mit einer narrativen Einstiegsfrage, in der in der ersten Welle das ganze bisherige Leben, in der zweiten Welle das letzte Jahr erfragt wurde. Nach immanenten Nachfragen zum bislang Erzählten erfolgte ein Teil mit exmanenten Nachfragen, in dem nach dem Bildungsweg, der Familie, dem Freund*innenkreis, der Freizeit und den Zukunftsvorstellungen gefragt wurde. In der ersten Welle gab es zudem Fragen zu politischer Partizipation, in der zweiten Welle zum Erleben der Covid-19-Pandemie.

Als Analysemethode für diese Auswertung wurde die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2016) ausgewählt, da das Datenmaterial insgesamt nach sehr unterschiedlichen Fragestellungen ausgewertet wurde und mit dieser Methode ein guter Überblick geschaffen werden konnte. Konkret wurde mit der strukturierenden Methode der qualitativen Inhaltsanalyse gearbeitet, deren Ziel ist, bestimmte Aspekte aus dem Material (z. B. formale und inhaltliche Strukturen) herauszufiltern (Mayring 2016, S. 115) und das zusammengestellte Kategoriensystem so präzise zu definieren, dass eine eindeutige Zuordnung des Textmaterials möglich ist. In der Auswertung wurden also, auf vorformulierten Fragestellungen basierend, Kategorien definiert und gebildet. Im Rahmen des Materialdurchgangs wurden die genannten Kategorien am Material erprobt und in Folge angewendet (Mayring 2016, S. 119). Aus der Analyse ging ein Set von Kategorien zu der vorbestimmten Thematik hervor, dem spezifische Textstellen zugeordnet wurden. Daraufhin wurde das gesamte Kategoriensystem in Bezug auf die Fragestellung interpretiert (Mayring 2016, S. 117).

Samplebeschreibung

In der ersten Welle der Aufstockung wurden elf junge Frauen und sechs junge Männer interviewt, die zum Zeitpunkt der Befragung zwischen 17 und 19 Jahre alt waren, Acht junge Menschen sind nach Österreich migriert, fünf sind hier geboren, haben aber Eltern, die im Ausland geboren sind. Die Jugendlichen besuchten unterschiedliche Maßnahmen, drei holten den Pflichtschulabschluss nach, drei waren in einem niederschwelligen, tagesstrukturellen Angebot, fünf in einer AusbildungsFit Einrichtung (damals noch „Produktionsschule“) und sechs besuchten eine überbetriebliche Lehre. Ein Jahr später nahmen drei junge Männer und drei junge Frauen an der Erhebung teil, die nun zwischen 18 und 19 Jahre alt waren. Zwei von ihnen sind im Ausland geboren, vier in Österreich. Vier dieser Jugendlichen sind mittlerweile in einer Lehre in einem Betrieb, eine Person ist noch in einer AusbildungsFit Einrichtung, allerdings einer mit einem anderen Schwerpunkt als der in Welle 1 besuchten und eine Person besucht nun eine weiterführende Schule. Eine Gemeinsamkeit der Jugendlichen besteht darin, dass sie ihren Berufswünschen näher gekommen sind. Dies trug eventuell auch dazu bei, dass sie in der zweiten Welle teilnahmen.

3.2 Daten aus dem Projekt CoAct

Im EU Horizon2020 Projekt Co-Designing Citizen Social Science for Collective Action (CoAct) wurden zwischen 2020 und 2022 Forschungen mit insgesamt 180 Jugendlichen aus verschiedenen Maßnahmen der AB18 durchgeführt (siehe Tab. 1). Besonders relevant für diesen Text sind vier Forschungswochen sowie ein Spezialevent zur partizipativen Evaluation von AusbildungsFit (AFit) Einrichtungen. In den Forschungswochen führten insgesamt 26 Jugendliche aus vier verschiedenen niederschwelligen Einrichtungen eigene kleine Forschungsprojekte zu einem selbstgewählten Thema im Zusammenhang mit ihrer Ausbildungssituation durch, beispielsweise zum Thema „Corona und die Jobsuche“, „Rassismus“ oder „Psychische Gesundheit“. Im zweitägigen Spezialevent wurde im Februar 2022 in zehn Kleingruppen mit insgesamt 80 Jugendlichen zum Thema „Inhalte, Herausforderungen und Wünsche für AusbildungsFit Einrichtungen“ gearbeitet. Während die Arbeitsweise in den Forschungswochen der partizipativen Forschung entsprach (Bergold und Thomas 2020; Wöhrer et al. 2017) – d. h. die Themen, Forschungsfragen und Methoden von den Jugendlichen ausgesucht und von den Wissenschaftler*innen nur begleitet und unterstützt wurden – entsprach das Design des Spezialevents einer qualitativen Erhebung mit partizipativen Elementen (Wöhrer et al. 2017): Die Forschungsfrage und die Art der Erhebung war von den Wissenschafter*innen vorgegeben, die Jugendlichen waren an der Erarbeitung und Diskussion der Daten beteiligt, bestimmten das Forschungsdesign aber nicht mit. Aufgrund der Covid-Bedingungen musste der Workshop online abgehalten werden und die Methoden wurden dementsprechend adaptiert. Die thematischen Einheiten hatten die Titel „Unterstützungsbedarf: Was/Wie/Wo/Wer unterstützt mich?“, „Die perfekte AFit“ und „Indikatoren“. Vor allem Ergebnisse des zweiten Tools „Die perfekte AFit“ werden für diesen Artikel herangezogen. Bei diesem Programmpunkt wurden den jungen Erwachsenen drei Themen vorgeschlagen, die sie auf einem Padlet ausfüllen konnten: „Das finde ich gut in meiner AFit“; „Das könnte besser sein in meiner AFit“ und „Das gefällt mir gar nicht in meiner AFit“. Danach wurde gemeinsam über die Punkte diskutiert und die wichtigsten Anliegen mitnotiert. Am Ende konnten die Teilnehmenden noch einmal im Padlet schriftlich oder auch graphisch die folgenden Fragen beantworten: „Mein perfekter Tag in der AFit beginnt mit …“, „Mit wem rede ich an einem perfekten AFit Tag?“, „Was lerne ich an einem perfekten AFit Tag?“, „Wo bin ich an einem perfekten AFit Tag?“ und „Was sollte es stattdessen geben?“ – damit wurde auf Veränderungswünsche abgezielt. Auch diese Punkte wurden danach in einer gemeinsamen Diskussion besprochen. Die beteiligten Wissenschafter*innen fassten dann die wichtigsten Veränderungswünsche aus der Diskussion zusammen. Die vergleichende Analyse aller zehn Kleingruppen wurde von den Wissenschafter*innen nach dem Ende des Workshops allein vorgenommen, wobei versucht wurde, möglichst genau am Input und den Aussagen der Jugendlichen zu bleiben.

Tab. 1 Daten aus CoAct

Die 106 Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die an den Forschungswochen bzw. beim Spezialevent mitgemacht hatten, kamen aus zwölf verschiedenen AusbildungsFit Gruppen. 92 von ihnen machten Angaben zu ihrem Geschlecht und Alter, davon waren die meisten zwischen 15–17 Jahre alt, 13 Personen waren 18 und älter. 53 Jugendliche bezeichneten sich als „männlich“, 40 als „weiblich“ und 8 gaben „non-binary“ oder „trifft nicht zu“ an.

4 Ergebnisse

4.1 Wege in die Maßnahmen der AusBildung bis 18

In den Interviews mit 17 Jugendlichen aus unterschiedlichen Maßnahmen wurde deren bisheriger Bildungsweg genauer erfragt und es stellte sich heraus, dass sich bei allen Jugendlichen erschwerte Bedingungen für ihre Bildungswege zeigten. Dies war insbesondere mit den folgenden Gründen verbunden: Migration, Familie, Mobbing oder gesundheitliche Probleme, manchmal auch mit einem Zusammentreffen von mehreren Faktoren.

4.1.1 Migration

Eine Analyse der problemzentrierten Interviews aus dem Projekt Wege in die Zukunft zeigte, dass in Bezug auf Migration vor allem die damit verbundenen geringeren Deutschkenntnisse und Diskriminierungserfahrungen Faktoren waren, die den Bildungsweg beeinflussten. Einige Jugendliche kamen mit 12 bis 14 Jahren nach Österreich und stiegen gleich in die Mittelschule ein. Das gleichzeitige Erlernen der Sprache und des Unterrichtsstoffes war dabei eine Herausforderung, die in sehr kurzer Zeit bewältigt werden musste. Vor allem zeigten sich hier strukturelle Probleme: Da der Zeitraum bis zum Ende der Pflichtschulzeit (9. Schulstufe) sehr knapp ist und Wiederholungen bzw. Altersgrenzen in Österreich recht rigide gehandhabt werden, müssen in wenigen Jahren einerseits eine neue Sprache und neue Inhalte gleichzeitig gelernt werden, andererseits trägt der Status als außerordentliche*r Schüler*in, der/die nicht benotet wird, dazu bei, den Zeitraum für die Erlangung positiver Noten einzuengen. Für die Bewältigung dieser Herausforderung gibt es wenig Unterstützung: Die monolinguale Verfasstheit der österreichischen Schulen (Gogolin 2014), die wenig Repertoire für einen produktiven Umgang mit Mehrsprachigkeit zur Verfügung stellt (Dirim und Mecheril 2010), erschwert einen Einstieg ins Schulsystem in diesem Alter.

Darüber hinaus ist das Wissen dieser Jugendlichen und ihrer Familien über das österreichische Schulsystem mit seinen verschiedenen Schultypen, komplexen Übergangsregelungen sowie der dualen Ausbildung zumeist gering, sodass nicht alle möglichen Optionen bekannt sind.

Sowohl in Bezug auf die Deutsch-Kenntnisse als auch das Wissen über das Bildungssystem können wir mit Bourdieu sagen, dass sich geringeres – oder genauer genommen: nicht das in der Schule vorausgesetzte – kulturelle und soziale Kapital auf die Schulerfolge, Bildungswege und Bildungsprozesse der Jugendlichen negativ auswirken.

Jugendliche mit eigener Migrations- oder Fluchterfahrung erzählen zudem häufiger von Diskriminierungen und rassistischen Ereignissen, so beispielsweise Lela:

„Sie, sie ist bisschen überrascht, weil: ‚Du bist Muslima, ich dachte, dass du normal Christin bist wie wir.‘ Ich hab gesagt nein. Es gibt bei uns Christen und Muslima und Juden auch. Aber ich bin Muslim, ich bin als Muslim geboren. Und sie hat gesagt: ‚ok‘. Dann sie ist – sie hat nie wieder mit mir gesprochen, nie wieder mit mir geredet. Sie ist so. Sie schaut mich einfach von weitem an.“ (Fall 123_WAVE4_S. 22–23, bereinigt)

Abwertende Bemerkungen von Lehrpersonen, ungerechte Behandlung oder Beurteilung aufgrund der Herkunft oder Ausgrenzung durch andere Schüler*innen sind Beispiele für erlebte Diskriminierung in der Schule. Diese Erfahrungen tragen zu einer Entfremdung von der Schule oder dem gänzlichen Fernbleiben bei.

4.1.2 Familie

Familienprobleme, familiäre Zerrissenheit und Schicksalsschläge waren weitere erschwerende Bedingungen auf den Bildungswegen der jungen Menschen.

Einige Jugendliche erzählen von Eltern mit Suchtproblemen und/oder psychischen Krankheiten oder von deren Gefängnisaufenthalten. Manche Eltern sind getrennt und/oder Elternteile leben beispielsweise in anderen Städten oder Ländern, was dazu führt, dass die Jugendlichen diese Elternteile kaum oder gar nicht sehen und dementsprechend auch keine Unterstützung von ihnen bekommen.

Insgesamt können die meisten Eltern ihren Kindern bei Schul‑, Ausbildungs- oder Berufsfragen nur wenig Unterstützung bieten. Zum Teil, weil das Wissen darum nicht vorhanden ist, zum Teil weil sie mit anderen Dingen belastet sind, wie weitreichende berufliche oder familiäre Verpflichtungen. Bisweilen kehrte sich das Verhältnis von Fürsorge und Unterstützung zwischen Eltern und Kindern sogar um (ein Umstand, der in der Literatur auch als „Parentisierung“ bezeichnet wird, vgl. Abdulillah 2015), so beispielsweise bei Alexandra, die selbst in einer betreuten Wohngemeinschaft lebt und versucht, sich um eine Wohnung für ihre an Schizophrenie erkrankte Mutter zu kümmern, die, laut der Erzählung der Jugendlichen, aus dem Frauenhaus ausgewiesen wurde.

Das kulturelle und soziale Kapital, das diese Familien für ihre Kinder zur Verfügung stellen können, entspricht dabei nicht der erwarteten Norm der Bildungsinstitutionen, was sich nachteilig auf die Bildungswege dieser Jugendlichen auswirkt (Dirim und Mecheril 2010).

4.1.3 Mobbing und Gewalt

Ein weiterer erschwerender Faktor waren Mobbing-Erfahrungen, die zum Teil körperliche Gewalt beinhalteten und in unterschiedlichen Schultypen erlebt wurden. Der Wunsch und die Motivation die Schule zu besuchen, nahm bei diesen Jugendlichen stark ab und sie distanzierten sich von dieser Bildungsinstitution. Bei zwei der interviewten Jugendlichen wirkte sich diese Erfahrung auch auf die Gesundheit aus und führte zu längeren Krankenhausaufenthalten, die den weiteren Schulbesuch ebenfalls erschwerten.

4.1.4 Gesundheit

Neben gesundheitlichen Problemen, die als Folge von Mobbingerfahrungen erzählt wurden, wurden auch andere gesundheitliche Probleme genannt, die die Suche nach einem Beruf einschränken. So wurden beispielsweise chronische Rückenbeschwerden als Hindernis genannt, um einen Beruf zu ergreifen, der langes Stehen erfordert.

Auch in den partizipativen Forschungswochen war Gesundheit und insbesondere psychische Gesundheit ein wichtiges Thema für die jungen Erwachsenen. Auch sie betonten die wichtige Rolle dieses Faktors in ihren Bildungswegen und bei der Suche nach Lehrstellen. Es wurden sowohl die konkreten Belastungen durch psychische Krankheiten im Alltag thematisiert als auch das Unverständnis und die Stigmatisierung vonseiten der eigenen Familie, aber auch des Arbeitsmarktes. Von den Bildungseinrichtungen wünschen sich die Ko-Forschenden hier Akzeptanz, Verständnis und Freiräume (Wintersteller et al. 2022b).

Während die Erzählungen in den problemzentrierten Interviews aus „Wege in die Zukunft“ eine genauere Analyse der Problemlage aus Sicht der Jugendlichen ermöglichen, erarbeiteten die jungen Menschen in den partizipativen Forschungswochen in CoAct auch Forderungen und Lösungsmöglichkeiten, wie beispielsweise einen Rückzugsraum in der Einrichtung, in den sich Personen mit einem akuten Problem begeben können, mehr psychologische Betreuung in den Einrichtungen und Entstigmatisierung von psychischen Problemen am Arbeitsmarkt. Hier wird sichtbar, dass die Jugendlichen keinen defizitorientierten Blick auf sich selbst übernommen haben, sondern recht klar artikulieren, welche normativen Erwartungen und Strukturen Hindernisse für sie darstellen (Wintersteller et al. 2022a).

4.1.5 Zusammenwirken mehrerer Faktoren und Zwischenfazit

Die hier getrennt aufgeführten Faktoren wirken in den erzählten Bildungswegen oft zusammen. Ein Beispiel für eine Jugendliche, bei der mehrere Faktoren zusammenspielen, ist Kerstin. Sie hat eine schwierige familiäre Situation, da der Vater im Gefängnis sowie auf der Flucht und für sie kaum zugänglich war. Zudem erlebte sie Mobbing in der Schulzeit, wurde daraufhin krank und hatte einen längeren Krankenhausaufenthalt. All diese Faktoren verhinderten bislang einen längerfristigen und konstanten Besuch einer Bildungseinrichtung.

Es zeigte sich in den Interviews also deutlich, dass junge Menschen, die sich in den Maßnahmen der AusBildung bis 18 befinden, keine leichten Wege zu gehen haben und mit einschränkenden Faktoren und Hindernissen umgehen müssen. Ähnliches findet sich auch in den Studien von Steiner et al. (2021) zum Jugendcoaching sowie von Bacher et al. (2014) bzw. Bacher (2020) zu NEET-Jugendlichen. Migration, (psychische) Erkrankungen und Betreuungspflichten werden bei Bacher (2020, S. 24) als wichtige Ursachen für den NEET-Status genannt. Steiner et al. (2021, S. 68) nennen Mobbing, schwierige finanzielle Situation und ebenfalls psychische Erkrankungen als erschwerende Faktoren bei Teilnehmenden des Jugendcoachings.

4.2 Einschätzung der Maßnahmen und der Übergangssituation durch die jungen Teilnehmenden

Zunächst kann festgehalten werden, dass die Jugendlichen in ihren Erzählungen quer über die bestehenden Maßnahmen hinweg (von einem nachgeholten Pflichtschulabschluss bis zu einer überbetrieblichen Lehre) diese als überwiegend positiv und im Übergang von der Schullaufbahn in die Arbeitswelt als unterstützend und hilfreich wahrnehmen. Dennoch gibt es auch zahlreiche Veränderungsideen der Teilnehmenden. Wir wollen uns im Folgenden auf jene beiden Angebote konzentrieren, zu denen die Jugendlichen die meisten Erzählungen und Angaben machten, die von Knecht und Atzmüller (2017, S. 242) auch als die „wichtigsten Säulen“ der unterstützenden Projektelandschaft bezeichnet werden.

4.2.1 Jugendcoaching

Die Maßnahme des Jugendcoachings wurde von nahezu allen Jugendlichen in den beiden Projekten beansprucht und fand bei den befragten Jugendlichen besonders positive Resonanz. Den Erzählungen und Erfahrungen zufolge wurde das Jugendcoaching als wegweisend und bereichernd empfunden. Insbesondere die individuelle Beratung, welche an die Wünsche und Vorstellungen der Jugendlichen anknüpfte und sie dementsprechend begleitete, erlebten die Jugendlichen als hilfreich. Lela beschreibt beispielsweise eine Unterstützung, die sie auf neue Ideen brachte:

„Ja. Bei uns gibt es das Jugendcoaching, das den Jugendlichen hilft, Weiterbildung und Arbeit zu machen. Ich habe ja gesagt, dass ich zuerst die Matura machen wollte und dann habe ich gehört, dass es schwierig ist und nicht geht, weil ich Ausländer bin, also nicht Österreicher bin. Und dann hat sie mir gesagt, nein du kannst das schon machen, du kannst das Abendgymnasium machen und gleichzeitig Teilzeit arbeiten, wenn du willst. Und ja ich habe gesagt: oh das ist eine super Idee, warum habe ich nicht daran gedacht! Dann werde ich das gleichzeitig machen, dann ist es besser für mich, ja.“ (Fall 123_WAVE4:S. 42, Zeile 6–13, bereinigt)

Die Jugendlichen erzählen, dass die Jugendcoaches unter anderem eine begleitende Rolle in den Übergangsentscheidungen und -prozessen übernahmen. Sie begleiteten die Jugendlichen beispielsweise bei Anmeldungen und Gesprächen und banden die Erziehungsberechtigten, überwiegend Mütter, in die (Entscheidungs‑)Situationen ein. Ein weiterer Vorteil aus Sicht der Jugendlichen ist die individuell angepasste Beratung in den Übergangsentscheidungen, welche sie in einigen Fällen sogar über eine längere Zeit und über den Übergang hinaus in Anspruch nahmen. Dies entspricht auch den Ergebnissen aus Steiner et al. (2021, insbes. S. 78–79).

Wir können zusammenfassen, dass soziales und kulturelles Kapital, das von der Familie nicht zur Verfügung gestellt werden kann, mithilfe der Jugendcoaches zum Teil erworben wird. Fehlende familiäre Ressourcen auf Grund prekärer Lebenslagen können bis zu einem gewissen Grad mit den Jugendcoaches kompensiert werden.

4.2.2 AusbildungsFit

In beiden Projekten wurde dieses Angebot von den Jugendlichen mehrheitlich sehr positiv erlebt. Vor allem die Trainer*innen werden als erste und wichtigste Anlaufstelle für viele Anliegen genannt. Viele Jugendliche beschreiben das Verhältnis zu den Trainer*innen als gut und freundschaftlich. Manche berichten, ihre Trainer*innen hätten eine Rolle vergleichbar mit Therapeut*innen und sie könnten mit ihnen auch private Themen besprechen, ohne sich verurteilt zu fühlen. Vereinzelt gibt es aber auch Erzählungen darüber, dass auf Wünsche, Interessen und/oder Fähigkeiten nicht genug eingegangen wird, dass herabwürdigende Sprache von Seiten einer Trainingsperson verwendet wird oder dass diskriminierende Äußerungen von Kolleg*innen von den Trainer*innen ignoriert werden. Dementsprechend wünschen sich die Jugendlichen einen respektvollen Umgang miteinander. Die Beziehung zu den Trainer*innen hat einen großen Einfluss auf die Wahrnehmung der Maßnahme insgesamt, d. h. wenn diese Beziehung gut ist, wird auch die Maßnahme als positiv erlebt, wenn dies nicht der Fall ist, dann ist auch die Zufriedenheit mit der Maßnahme geringer.

Eine weitere wichtige Rolle spielen die Trainer*innen in der Vermittlung von Praktika und/oder Lehrstellen, indem sie auf Stellenangebote hinweisen oder Jugendliche weiterempfehlen. Die Trainer*innen und Coaches in der AusbildungsFit-Einrichtung stellen also ebenso wie die bereits erwähnten Jugendcoaches eine wichtige Ressource und soziales Kapital dar, das von den Jugendlichen aufgegriffen wird.

Weiters wird die Möglichkeit, Praktika und damit Erfahrungen in bestimmten Berufsbranchen zu machen, von den Jugendlichen geschätzt. Vor allem jenen Jugendlichen, die keine konkreten Vorstellungen und Berufswünsche haben, helfen diese neuen Erfahrungen beim Konkretisieren ihrer Vorstellung bzw. bei der Entscheidungsfindung. Für Jugendliche, welche bereits über konkrete Berufsvorstellungen verfügen, können die ersten Erfahrungen in ihren Wunschbranchen dazu führen, dass sich ihre Vorstellungen verfestigen oder sie sich umentscheiden. In beiden Fällen stellen die praktischen Erfahrungen eine große Hilfe bei den (Übergangs‑)Entscheidungen dar. Zudem ergaben sich in einigen Fällen durch die Praktika in der AusbildungsFit auch Zugänge zu Lehrstellen und Lehrverträge. Auch in dieser Hinsicht bietet die AusbildungsFit-Einrichtung soziales Kapital, das die Jugendlichen als Ressource nützen und das den Möglichkeitsraum der Jugendlichen erweitern kann.

Ein weiterer positiv erlebter Aspekt ist die Kompetenzorientierung der AusbildungsFit-Einrichtungen: Statt auf die Defizite fokussieren die Trainer*innen in ihrer pädagogischen Arbeit mehrheitlich auf die Stärken der Jugendlichen. Manche beschreiben dies als ermächtigend und bereichernd und als einen großen Unterschied zu den bisher von ihnen besuchten Bildungsinstitutionen.

Während viele Jugendliche im partizipativen Forschungsprojekt über Diskriminierung und/oder Rassismus in der Schule oder am Arbeitsmarkt berichteten, meinten die meisten, dass dies in der AusbildungsFit weniger der Fall sei und sie sich dort akzeptiert fühlen. „Im AusbildungsFit wird jeder akzeptiert, wie er ist“, war die Aussage eines Jugendlichen dazu. Dennoch wünschen sich die jungen Menschen, dass die Trainer*innen mehr auf die Themen Homophobie, Sexismus und Rassismus eingehen. Im Zuge einer Diskussion mit Verantwortungsträger*innen der AB18, die in CoAct durchgeführt wurde, wurde dementsprechend vorgeschlagen, eine eigene Beschwerde- und Unterstützungsstelle einzurichten, bei der Diskriminierungserfahrungen in AusBildung bis 18 Maßnahmen gemeldet werden können.

Viele Teilnehmer*innen hätten gerne mehr Räume und zum Teil auch mehr Infrastruktur, um in der AusbildungsFit besser arbeiten zu können. Während manche Einrichtungen ganz gut ausgestattet sind, fehlen in anderen Aufenthaltsräume für die Pausen oder berufsrelevante Geräte.

Die jungen Menschen wünschen sich auch mehr Mitsprache in Bezug auf die konkrete Ausgestaltung der einzelnen Angebote. Beispiele dafür wären im Vorhinein über den Stundenplan informiert zu werden, bei der Länge der Pausen mitreden zu können oder bei den angebotenen Sportarten mitbestimmen zu können.

4.2.3 Übergang in den Arbeitsmarkt

Sowohl die interviewten, als auch die an den Forschungswochen beteiligten jungen Menschen beschreiben das Erlangen eines Bildungs- oder Ausbildungsplatzes als ihr wichtigstes Ziel. Oft ist das eine Lehrstelle, manchmal auch der Besuch einer weiteren Schule. Vor allem in den Interviews zeigte sich, dass die Aufgabe, einen Ausbildungsplatz zu finden, manchmal alles andere in den Hintergrund treten lässt, sodass es bei manchen zu einer Art Blockade in Bezug auf weitere Lebensziele kommt. Diese Jugendlichen vermitteln, dass sie sich erst auf weitere Ziele oder Ereignisse konzentrieren können, wenn sie eine Lehrstelle gefunden haben: Partner*innenschaften und Familiengründungen, Überlegungen zu einer eigenen Wohnung oder zum späteren Wohnort werden auf einen Zeitpunkt nach dem Finden eines Ausbildungsplatzes verschoben. Dieser starke Fokus kann auch am Interviewsetting in der Bildungseinrichtung und den dort vermittelten Zielen und Anforderungen liegen, denn im Gegensatz dazu vermitteln die jugendlichen Teilnehmenden der partizipativen Forschungswochen ein differenzierteres und distanzierteres Verhältnis zu den Zielen der Einrichtungen.

In den biographischen Erzählungen der interviewten Jugendlichen wird deutlich, dass sich im Laufe ihrer Bildungswege Möglichkeitsräume sukzessive geschlossen haben, beispielweise durch schlechte Noten oder nicht bestandene Aufnahmeprüfungen. Diese Wege führten sie in die AusBildung bis 18 Angebote. Zudem legen die Erzählungen jener Jugendlichen, die schon länger in der Maßnahme sind und eine Lehrstelle suchen, nahe, dass sie immer demotivierter werden, je länger die Suche dauert. Mit der Zeit werden die Vorstellungen von einem attraktiven Lehrberuf im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten umformuliert. Der Wunsch so bald wie möglich eine Lehrstelle zu finden, verfestigt und verstärkt sich. Konkrete Berufswünsche oder Wünsche nach einer bestimmten Branche werden hintangestellt zugunsten des Erlangens wenigstens irgendeiner Lehrstelle. Mit der Lehrstellensuche geht eine Drucksituation einher, die spürbar ist und von den Jugendlichen zum Ausdruck gebracht wird. So meint etwa Lisa:

„Es hat mir sehr gut gefallen dort, aber dann war es so, dass immer, wenn mir jemandem eine Absage gegeben hat, ich meine Motivation verloren habe und dann einfach nicht mehr wollte, und das ist halt nicht so gut (lacht) (…) und so bin ich halt dann auch hier gelandet (…) wegen dieser Jugendwerkstätte“ (Interview 135, S. 53, Zeile 19–24, bereinigt).

Die erlebte Schließung der Möglichkeitsräume führt unter anderem dazu, dass Jugendliche den Erwartungen des sozialen Umfeldes und den ökonomischen Rahmenbedingungen entsprechend (Selbst)Konzepte konstruieren, auf die bei späteren (Lebens‑)Entscheidungen zurückgegriffen wird (Walther 2015, S. 27). Jugendliche tendieren hierbei dazu ihre Berufsentscheidungen ihren Ressourcen entsprechend zu wählen und auf realistische Berufswünsche zurückzugreifen (Walther 2015, S. 30). Das „Cooling-Out“ Konzept (Goffman 1952) greift den Widerspruch zwischen der postulierten Chancengleichheit einerseits und den knappen passenden (beruflichen) Positionen auf und erklärt, dass bestimmte Jugendliche niedrige Positionen als angemessen akzeptieren, weil sie sich ihre Fähigkeiten absprechen bzw. gelernt haben sich diese abzusprechen (Walther 2015, S. 29).

In den partizipativen Forschungswochen in CoAct zeigte sich allerdings, dass diese Umorientierung hin zu als „realistisch“ erlebten Berufswünschen mit einer Kritik an den Anforderungen und Strukturen des Bildungs- und Übergangssystems einhergehen kann. D. h. die Jugendlichen orientierten sich zwar entsprechend der an sie herangetragenen Erwartungen um, blieben dabei aber skeptisch und kritisch. In diesem Forschungsprojekt wurden drei Themen immer wieder von den Jugendlichen gewählt und diskutiert: Normative Erwartungen des Arbeitsmarkts, (psychische) Gesundheit sowie Diskriminierung und Rassismus. Wir möchten hier vor allem auf den ersten Themenbereich eingehen, wobei alle drei Überschneidungen aufweisen.

Die Jugendlichen thematisierten in großer Deutlichkeit, dass die Anforderungen vieler Arbeitgeber*innen nach guten Noten und einem möglichst lückenlosen und linearen Lebenslauf für sie nicht erfüllbar sind. Brüche und Wechsel von Institutionen waren bei allen erlebte Erfahrung. Migration, Umzug, Krankheit, Trennung der Eltern, Aufenthalt im Krankenhaus oder einer psychiatrischen Klinik waren einige der Gründe, die diese Wechsel bedingten. Sie erlebten, an einer Norm gemessen zu werden, die nicht zu ihrem Leben passt und die für sie auch nicht erreichbar ist. Die damit ständig einhergehende Fremdwahrnehmung als defizitär und ungenügend, war frustrierend und demotivierend. Die Jugendlichen verbanden die an sie gestellte Forderung, eine weitere Ausbildung machen zu müssen, mit der Gegenforderung, dass es dann auch Möglichkeiten geben müsse, diese beginnen zu können: Wenn es keine Lehrstellen für sie gibt, wie sollen sie dann die Ausbildungspflicht erfüllen? Dementsprechend forderten sie, dass Arbeitgeber*innen ihren Auftrag zur Ausbildung ernst nehmen und nicht nur jene einstellen sollten, die schon Vieles können, sondern auch jene, die noch lernen müssen.

Die jungen Co-Forschenden hatten auch viele Ideen für Veränderungen und Verbesserungen sowohl auf der Ebene der AB18 als auch darüber hinaus: Sie wünschten sich beispielsweise niederschwelligere und aktuellere Informationen zu Berufen, Partizipation von Jugendlichen an der Erarbeitung von Angeboten der AB18, weniger hohe Aufnahmekriterien bei Lehrstellen, eine gezieltere Betreuung beim AMS, anonymisierte Bewerbungsverfahren, in denen Geschlecht und ethnische Herkunft nicht erkennbar sind, mehr finanzielle Mittel um Ausbildungsplätze zu schaffen, von der Politik gehört zu werden, ein höheres Gehalt zur Deckung der Lebenshaltungskosten (konkret ca. € 500 im Monat) sowie ein vergünstigtes Ticket für den öffentlichen Verkehr (mehr zu den Forderungen der Jugendlichen in Wintersteller et al. 2022b).

5 Zusammenfassung und Ausblick

Junge Menschen, die sich in den Angeboten der AusBildung bis 18 befinden, sind zu einem großen Teil von herkunftsspezifischen Ungleichheiten und erschwerten Rahmenbedingungen betroffen. In den hier dargestellten Projekten hatten vor allem Migrationserfahrungen, familiäre Beziehungen und Verhältnisse, (psychische) Gesundheit und Mobbing großen Einfluss auf die (Bildungs‑)Wege und Berufsvorstellungen der Jugendlichen. Mit einem Rückgriff auf Bourdieu (2018 [1964]), Bourdieu und Passeron (1971) sowie Dirim und Mecheril (2010) konnte gezeigt werden, dass die Jugendlichen die Erwartungen, die die Bildungsinstitutionen in Bezug auf Vorwissen (z. B. der deutschen Sprache oder über das Bildungssystem), Familie (z. B. in Bezug auf Mithilfe beim Lernen), oder Gesundheit haben, nicht im vorausgesetzten Ausmaß erfüllen. Das soziale und kulturelle Kapital der jungen Menschen und ihrer Familien entspricht dabei nicht den Normerwartungen, die Bildungsinstitutionen in Österreich stellen. Zudem sind insbesondere Schulen in Österreich nicht geübt darin, mit Vielfalt anerkennend umzugehen, sodass die Jugendlichen die fehlende Passung zu den Normen als ihr eigenes Unvermögen (und das ihrer Familien) vermittelt bekommen.

Maßnahmen der AusBildung bis 18 sollen Jugendliche dabei unterstützen eine Ausbildung der Sekundarstufe 2 zu finden und abzuschließen. Wie in den dargestellten Analysen deutlich wird, können insbesondere Jugendcoaching oder AusbildungsFit aus der Sicht der Jugendlichen dabei konkret helfen und soziales und/oder kulturelles Kapital bereitstellen, indem sie beispielsweise Wissen über Bildungs- und Berufsmöglichkeiten vermitteln, helfen Ausschreibungen zu finden und/oder Bewerbungen zu schreiben, manchmal auch bei Gesprächen begleiten. Ein wichtiger Aspekt ist dabei, dass die Jugendlichen ihren Vorstellungen und Wünschen entsprechend begleitet und unterstützt werden, sodass auch unterschiedliche (Aus‑)Bildungslaufbahnen ermöglicht werden (z. B. nicht nur Lehrberufe). Vor allem individuelle, längerfristige und kompetenzorientierte Unterstützung erleben die jungen Menschen als besonders hilfreich. Zu ähnlichen Ergebnissen in Bezug auf das Jugendcoaching kamen auch Steiner et al. (2021), die vonseiten der Jugendlichen einen Bedarf nach längerer bzw. intensiverer Unterstützung sehen (Steiner et al. 2021, S. 205) und den Ausbau der Maßnahme empfehlen.

Mit der Situation eine Maßnahme zu besuchen und mit der Lehrstellensuche gehen die jungen Menschen unterschiedlich um. Vor allem jene Jugendlichen, die dabei unterstützt wurden, ihre mitgebrachten Wünsche zu verfolgen (z. B. Matura in einer Abendschule zu machen) oder die, die bislang gar keine konkreten Wünsche hatten, erleben die Maßnahme als hilfreich, weil sie dort die Informationen und Gelegenheiten bekommen, die ihnen bislang gefehlt haben. Andere junge Menschen, die bereits länger in der Maßnahme sind und keine Lehrstelle oder Bildungsinstitution finden konnten, passen ihre Berufswünsche den Möglichkeiten an. Ein Prozess, den wir mit Goffman (1952) und Walther (2015) als „cooling out“ bezeichnen können.

In einem Vergleich der Daten aus den beiden Forschungsprojekten wird allerdings deutlich, dass diese Anpassungen nicht mit einer Übernahme von defizitorientierten Selbstzuschreibungen einhergehen müssen. Die von Atzmüller und Knecht (2016) herausgearbeiteten Zuschreibungen an die Jugendlichen, die von erwachsenen Expert*innen formuliert wurden, werden von den Jugendlichen in Frage gestellt. In den partizipativen Forschungswochen zeigt sich, dass die jungen Menschen zum Teil sehr kritisch gegenüber den Anforderungen und Strukturen des Bildungs- und Übergangssystems sind. Sie kritisieren Mechanismen, die sie als ausgrenzend erleben, und überlegen, was verbessert werden könnte. So formulieren sie beispielsweise klar Frustration darüber, an Normen gemessen zu werden, denen sie nicht gerecht werden können, weil sie auf Basis anderer Lebenskontexte erstellt wurden – z. B. einen lückenlosen Lebenslauf vorzuweisen. Sie stellen Überlegungen über die Ursachen dieser Situation an und formulieren Ideen für Veränderungen in der Maßnahmenlandschaft, am Lehrstellen- und Arbeitsmarkt und zum Teil auch für die Gesellschaft insgesamt.

„Trau dich! Sei laut und wehr dich!“ war die Aussage einer jugendlichen Co-Forschenden in Bezug auf Rassismus und Diskriminierungserfahrungen in Übergangssituationen, die von vielen Jugendlichen in den Interviews und den Forschungswochen thematisiert wurden. Bei genauerer Betrachtung sehen wir, dass viele Jugendliche dieses Motto auch auf die Suche nach einem Ausbildungsplatz insgesamt verfolgen: Sie verwehren sich dagegen, als defizitär gesehen zu werden und wollen, dass Arbeitgeber*innen die sozialen Realitäten ausbildungssuchender Jugendlicher anerkennen. Sie wollen nicht die individuelle Verantwortung für strukturelle Probleme übernehmen müssen, sondern benennen strukturelle Hindernisse, überlegen Lösungen und fordern von der Politik, ernst genommen zu werden.